Neulich berichtete eine Freundin von einem coolen neuen Seminar, das sie besucht hat. Dabei ging es um eine neue Art zu meditieren, ohne die übliche „Yoga-Esoterik“, also für Leute, die mitten im Leben stehen und einfach keine Zeit für langes Üben aufbringen können. Der „Durchbruch“ käme dabei unmittelbar, schon während des Seminars habe man umwälzende „Aha-Erlebnisse“, die einem helfen, sich selbst und sein Verhalten in einem völlig neuen Licht zu sehen.

Gut, ich gebe zu, ich war automatisch skeptisch. Vielleicht auch ein bisschen angepiekst, weil ich in über 10 Jahren Yoga- und Meditationserfahrung zwar auch viel über mich selbst gelernt habe, aber eben vor allem erlebt habe, wie schwer es ist, konsequent genug am Ball zu bleiben, um wirklich spürbare Veränderungen an „ungeliebten“ Verhaltensweisen zu erreichen. Im Alltag. Dauerhaft. Und schließlich habe ich nicht nur die jahrelange Erfahrung, ich habe auch etliche Aus- und  Weiterbildungen auf diesem Gebiet gemacht und zahlreiche Bücher gelesen. Aber ein „Wunder“ ist mir dabei nie begegnet.

Worum ging es in dem Seminar?

Um das 8-Wochen-Programm mit dem etwas sperrigen Namen „Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion“ – im englischen Original auch nicht cooler: „Mindfulness-based Stress Reduction“, kurz: MBSR. Entwickelt und seit ca. 30 Jahren erfolgreich angewandt von dem amerikanischen Wissenschaftler Jon Kabat-Zinn.  Aha, davon habe ich natürlich in meiner Ausbildung gehört.  Bevor es hierzulande in aller Munde war. Da hat jemand – wie unzählige andere Yoga- und Meditationslehrer auch – sich Gedanken gemacht, wie man den Menschen von heute mit ihren Bedürfnissen und Erwartungen das Thema „Meditation“ näher bringen kann. Nun ist ja schon der Begriff „Meditation“ mit allerlei Bedeutungen belegt, die dem Vorhaben, Meditation „massentauglich“ zu machen, im Wege stehen: Meditation ist fremd, spirituell, wenn nicht gar religiös oder esoterisch, ist anstrengend und völlig nutzlos. Denn Hand aufs Herz: wer will sich schon in rot-orange Tücher gehüllt auf den Weg ins Nirwana machen…?

Achtsamkeit ist in der „klassischen“ Lehre eine Vorübung zur Meditation. In langer regelmäßiger Übung gelangt man mit Hilfe von Entspannungs- und Achtsamkeitsübungen über mehrere Stufen zum Zustand absoluter Stille im Geist. Die Stufen, die man dabei durchläuft, gehen von dem „einfachen“ Gefühl der Entspannung über Konzentration auf einen Gedanken bzw. Gegenstand bis zu einem Zustand, in dem die Gehirntätigkeit auf ein Minimum heruntergefahren ist.

Achtsamkeit, bzw. Achtsamkeitstraining ist zunächst also nichts anderes als das, was jeder Meditierende regelmäßig praktiziert auf dem Weg zu dem von ihm ersehnten Zustand. Achtsamkeit ist aber DIE Antwort für uns Menschen, die wir in Großstädten herumlaufen, von Meeting zu Meeting hetzen, auf dem Weg ein Brötchen und Coffee to go herunterstürzen und uns früher oder später wundern, warum wir krank werden oder im Burnout landen. Um gesund zu bleiben (oder es wieder zu werden), um mit uns selbst und unseren Mitmenschen in Frieden zu leben, um überhaupt wieder bei „uns“ anzukommen, brauchen wir keinen tiefen meditativen Zustand, keine roten Gewänder und kein Nirwana. Was wir dringend brauchen, ist Achtsamkeit, in welchem „Programm“ auch immer sie vermittelt wird.  Das haben Jon Kabat-Zinn und seine Schüler bzw. Nachahmer erkannt.

Da gibt es diese nette Umformulierung einer Weisheit der Dakota-Indianer („Wenn du auf einem toten Pferd sitzt, steig ab!“), die lautet: „Gib dem Pferd einen anderen Namen!“ Nichts anderes hat der kluge Jon Kabat-Zinn gemacht, als er diesem Programm aus Jahrtausende alten Übungen den wissenschaftlich klingenden Namen „Mindfulness-based Stress Reduction“ gegeben hat. Und schon läuft’s!

Die gute Nachricht: es ist wirklich GUT, was der „Kollege“ sich da hat einfallen lassen. Hut ab! Ich habe mittlerweile das vierte Buch über „Achtsamkeit“ verschlungen und komme aus dem Nicken nicht mehr heraus. Jon Kabat-Zinn – und die vielen anderen, die sich auf das Pferd mit dem „neuen“ Namen Achtsamkeit geschwungen haben –  hat es in der Tat verstanden:  Das Programm ist alltagstauglich, pragmatisch und … einfach gut! Nur … eben nicht neu, wie der plötzliche Medien-Hype vermuten lässt. Auch diese „neue“ Achtsamkeit, wie sie jetzt in -zig Büchern und Seminaren gelehrt wird, ist nichts anderes als das, was wir und unsere Vorfahren schon seit Urzeiten beim Yoga oder in der Meditation üben. Und verspricht „leider“ immer noch keine Soforteffekte. Nicht im Alltag. Nicht dauerhaft.  Ja,  „Aha-Erlebnisse“ gibt es hier und da, doch sind wirkliche Verhaltensänderungen – immer – nur mit Disziplin, Regelmäßigkeit und Geduld zu erreichen.