Vor ca. einer Woche ging ein Post durch die Medien. Ihr habt vielleicht davon gehört: Ein Friseursalon in Zwickau informierte seine Kundinnen und Kunden, dass in einem begrenzten Zeitraum personalbedingt nach 16 Uhr keine Frauen bedient werden, da sich ein „syrischer Herrenfriseur“ allein im Salon aufhalte, der keine Damen bediene. Das handgeschriebene Hinweisschild wurde fotografiert und in den sozialen Netzwerken veröffentlicht. Sofort ging ein „Shitstorm“ durch die Medien. Ich habe nur eine kleine Auswahl der Kommentare gelesen und bin entsetzt darüber, wieviel Hass und Aggression allein durch eine solch kleine, unbedeutende Nachricht entstehen kann. Man dürfe Syrern/Moslems auf keinen Fall ein Rasiermesser in die Hand geben, hieß es zum Beispiel in einem Post. Man müsse ja froh sein, dass man noch lebe. Der Friseursalon unterstütze eine mittelalterliche, diskriminierende Weltanschauung. Der Friseur sei sich zu fein, um Damen zu bedienen, so lauteten etliche andere Kommentare.

Die Friseurkette hat schließlich das Missverständnis aufgeklärt: Der Friseur habe in Syrien eine Ausbildung zum HERRENFRISEUR gemacht. Darin sei er wirklich erstklassig. Aber er habe nicht gelernt, Damenhaarschnitte zu machen. Deswegen sollte er keine Damen bedienen. Leider habe die Angestellte, die das Hinweisschild angebracht hatte, eine unglückliche Formulierung gewählt. Und die völlig überflüssige Information über die Nationalität des Herrenfriseurs hinzugefügt. Was dann passierte, darauf hatte sie keinen Einfluss mehr…

Warum wärme ich diese Notiz noch einmal auf?

Erstens: Weil sie so wunderbar deutlich macht, wie schwierig Kommunikation ist. Weil sie zeigt, dass das, was gesagt oder – noch schlimmer: geschrieben wird, in den allerseltensten Fällen auch genau so beim anderen ankommt.

Zweitens: Weil ich es erschreckend finde zu sehen, wie wenig ausreicht – hier eine kleine, eigentlich für Unbeteiligte völlig unwichtige Kundeninformation – um eine Welle aus Hass und Hetze auszulösen.

Kommunikation ist immer auch Verständigung zwischen verschiedenen „Welten“

Kommunikation ist komplizierter als man glaubt. Im Fall des syrischen Friseurs hat die eigentlich nebensächliche Information über die Herkunft des Mannes bei vielen Menschen offenbar sofort eine Assoziationskette ausgelöst: Ein Syrer ist ein Moslem ist ein Islamist ist ein Frauenhasser ist ein Mörder ist ein Terrorist… Diese Denkschleife könnte beliebig verlängert werden. Woran liegt das?

Jeder hört mit unterschiedlichen Ohren. Ihr kennt das Modell von Friedemann Schulz von Thun (4-Ohren-Modell). Interessant ist dabei, dass ganz unabhängig vom eigentlichen Sachinhalt einer Aussage häufig noch eine ganz andere Information mitschwingt. Als wenn sie in Geheimsprache verfasst oder mit „Zaubertinte“ geschrieben wäre, wird diese zweite Information offenbar nur für denjenigen sicht- oder hörbar, der sie „wahrnimmt“. Unsere persönliche, individuelle Sicht auf die Welt, auf das, was um uns herum geschieht, unsere bisherigen Erfahrungen, unsere Einstellungen, unsere Konstitution bestimmen, was wir in „unserer Welt“ als WAHR verstehen.

Deswegen ist das berühmte Glas für den einen halb voll, während es für den anderen halb leer ist. Deswegen empfindet der eine lärmende Kinder als Plage, der andere als Grund, sich zu freuen. Der eine sieht Kritik als Bedrohung oder Beleidigung an, der andere als Chance, sich weiterzuentwickeln. Und zwischen den jeweiligen Extremen gibt es unzählige Nuancen, die darüber entscheiden, wie eine einfache kleine Botschaft aufgenommen und verstanden wird.

Jeder schaut durch seine eigene Brille

Wirklich schwierig wird es, wenn man – vielleicht aufgrund negativer Erfahrungen im Leben – schon eine negative Grundhaltung hat. Hinter allem und jedem eine Bedrohung vermutet. Wenn die Mitmenschen, bereits bevor man sie persönlich kennenlernt, mit einer gewissen misstrauischen Haltung beäugt werden. „Vorsicht“, nennen es die einen. „Vorurteil“ ist es in den meisten Fällen, behaupte ich. Um bei unserem Beispiel zu bleiben: Ist denn wirklich „immer“ davon auszugehen, dass ein syrischer Herrenfriseur „an sich“ ein Frauen verachtender Chauvinist oder gar ein potentieller Mörder ist, dem man keine Friseurinstrumente anvertrauen darf? Beruht diese Meinung auf einer reellen Erfahrung? Einer reellen Erfahrung, die so viele Menschen teilen? Die wichtig genug ist, um sie in öffentlichen Medien zu verbreiten? Ich glaube kaum.

Die Geschichte ist ein Beispiel dafür, wie schnell sich vorschnelle Meinungen zu massiven Vorurteilen auswachsen:

  1. Der „Stein des Anstoßes“: Ein leider etwas unglücklich formulierter Hinweis. Zudem mit einer Information über die Herkunft des Friseurs, die an dieser Stelle überflüssig ist und zum Missverständnis führt. Typischer Fall von „gut gemeint, aber dumm gelaufen“.
  2. Ein Passant sieht diesen Hinweis und wundert sich über die Tatsache, dass der Friseur offenbar keine Damen bedient.
  3. Anstatt hineinzugehen und nach den Gründen zu fragen oder die ganze Sache einfach auf sich beruhen zu lassen (schließlich sind die Hintergründe ja nicht bekannt),  wird das Schild kurzerhand fotografiert und im Internet veröffentlicht. WARUM??!! Wahrscheinlich aus demselben Grund, aus dem manche Menschen Ihr Essen fotografieren und posten.
  4. Weitere Personen, die das Bild im Internet sehen, interpretieren es im Rahmen ihrer persönlichen Erfahrungswelt, kommentieren es entsprechend – und einige nutzen diese Gelegenheit zu fremdenfeindlicher Hetze.
  5. Die Kommentare verselbständigen sich in der Folge. Die Hetze eskaliert.
  6. Versuche des Friseurunternehmens, den Sachverhalt zu erklären, laufen ins Leere.
  7. Die Kommentare werden noch gehässiger und richten sich nun gegen das ganze Unternehmen, das solche Menschen einstellt (statt „anständigen Deutschen“ eine Chance zu geben…)
  8. Es wird sogar zum Boykott der Friseurkette aufgerufen.
  9. Der syrische Friseur verlässt den Salon.

Was eigentlich nur ein kleiner Sturm im Wasserglas gewesen wäre, wurde zu einem wirklichen Shitstorm, der gefährliche Ausmaße angenommen hat. Und den syrischen Friseur den Job gekostet hat.

Was hilft also, damit die Situation gar nicht erst soweit eskaliert?

Auf „Senderseite“:

  • Wenn man eine Information geben will, dann hilft es, sich zunächst in die Rolle des „Empfängers“ zu versetzen und sich einmal in Ruhe zu fragen: Wie könnte er das verstehen? Einer meiner Coachinglehrer nannte das: Auf die Insel des anderen gehen.
  • Wenn man die Information schriftlich abgeben will, ist es eine gute Idee, mal jemand anderen drüberschauen zu lassen und ihn zu fragen, inwieweit man die Information auch anders verstehen kann. Selbst ist man oft ein bisschen „betriebsblind“.

Auf „Empfängerseite“:

  • Am hilfreichsten beim Verstehen einer Information ist sicher eine positive Grundeinstellung. Zunächst einmal unvoreingenommen annehmen, dass der Andere (wahrscheinlich) gar nicht böse ist und dass es sicher eine schlüssige Erklärung für den potentiellen Streitpunkt gibt. Wenn diese Grundeinstellung nicht „angeboren“ ist: Man kann es lernen! Es ist dann zwar der schwierigere Weg, aber es ist zu schaffen. Und es gibt Menschen, die gezielt dabei helfen können. Coaches beispielsweise… 😉
  • Man kann auch fragen. Wenn man also zumindest annimmt, dass der Streitpunkt vielleicht auch ganz anders gesehen werden könnte (auch wenn man es NOCH nicht sieht), dann einfach mal das Gespräch suchen und nachfragen. Sowas hilft!
  • Am besten beim Nachfragen auch darauf achten, aus der eigenen Perspektive heraus zu sprechen. Nicht: DU hast gesagt…, sondern: „Bei mir ist… angekommen. Kann das sein?“ Oder so ähnlich. Das bringt den Anderen nicht gleich in die „Verteidigungsecke“.
  • Bevor man dann – gefragt oder ungefragt – seine Meinung zu dem Thema kundtut, sollte man sich einmal Gedanken über die möglichen Konsequenzen machen. Die „drei Siebe“ des Sokrates können hierbei hilfreich sein…

Die drei Siebe

Eines Tages kam einer zu Sokrates und war voller Aufregung.
„He, Sokrates, hast du das gehört, was dein Freund getan hat? Das muss ich dir gleich erzählen.“ „Moment mal“, unterbrach ihn der Weise. „hast du das, was du mir sagen willst, durch die drei Siebe gesiebt?“ „Drei Siebe?“ fragte der Andere voller Verwunderung. „Ja, mein Lieber, drei Siebe. Lass sehen, ob das, was du mir zu sagen hast, durch die drei Siebe hindurchgeht. Das erste Sieb ist die Wahrheit. Hast du alles, was du mir erzählen willst, geprüft, ob es wahr ist?“ „Nein, ich hörte es irgendwo und . . .“ „So, so! Aber sicher hast du es mit dem zweiten Sieb geprüft. Es ist das Sieb der Güte. Ist das, was du mir erzählen willst – wenn es schon nicht als wahr erwiesen ist -, so doch wenigstens gut?“ Zögernd sagte der andere: „Nein, das nicht, im Gegenteil …“ „Aha!“ unterbrach Sokrates. „So lass uns auch das dritte Sieb noch anwenden und lass uns fragen, ob es notwendig ist, mir das zu erzählen, was dich erregt?“ „Notwendig nun gerade nicht …“

„Also“, lächelte der Weise, „wenn das, was du mir das erzählen willst, weder erwiesenermaßen wahr, noch gut, noch notwendig ist, so lass es begraben sein und belaste dich und mich nicht damit!“

Manchmal hilft nur eins: Einfach mal die Klappe halten! 😉

Ich wünsche Dir einen schönen Tag!

Wenn Du mehr über Kommunikation, wie sie funktioniert und was passiert wenn sie nicht funktioniert, erfahren willst, dann komm doch zu unserem Impuls-Workshop zum Thema Kommunikation: „Ich höre was, was du nicht sagst!“

Der nächste Termin ist am 20. Oktober 2017, 18 – 21 Uhr bei uns in der Frühlingsstraße. (Anmeldung)