Man könnte meinen, mit der Schlange ist eine Yoga-Haltung gemeint, die ja meistens Tiernamen haben, aber es geht hier um ganz alltägliche Dinge, die mir so begegnet sind.

Jetzt kommt auch keine Geschichte von einem spektakulären Abenteuer im südamerikanischen Dschungel. Der „Dschungel“ ist der Supermarkt um die Ecke, die Schlange ist die vor den Kassen. Nur die Hitze kann es mit tropischen Verhältnissen aufnehmen…

Letzten Samstag war ich ausnahmsweise mit dem Einkauf dran. Es war wahnsinnig heiß und drückend, und der Supermarkt war wahnsinnig voll. Ich suchte also meine Sachen zusammen und reihte mich am Ende der ewig langen Schlange vor einer der Kassen ein. Es war so warm, dass ich bei der leisesten Bewegung in Schweiß ausbrach. Und es ging extrem langsam vorwärts an dieser Kasse. Eine typische Situation zum ausrasten, oder? Gerade wollte ich mich richtig aufregen und ärgern, weil „ausgerechnet ich“, ausgerechnet jetzt, ausgerechnet an dieser Kasse mit dieser extrem lahmen Kassiererin landen musste… Vielleicht lag es an der Hitze, meine Zündschnur war an diesem Tag jedenfalls ein bisschen länger als sonst. Ich atmete einmal tief ein und langsam wieder aus. Noch einmal. Als erstes kam ein Gefühl der Solidarität mit der Kassiererin auf und ich dachte: Naja, die muss den ganzen Tag hier verbringen, die Arme… Und so fügte ich mich in mein „Schicksal“ und nutzte die Zeit, noch einen tiefen Atemzug zu nehmen – und spürte einen kühlen Lufthauch – wahrscheinlich die Klimaanlage… Es war herrlich! Ich ertappte mich bei dem Gedanken: „Eigentlich könnte die Schlange doppelt so lang sein…!“ Und so stand ich ganz still und unbeweglich da mitten im Supermarktgewühl mit meinem Einkaufswagen (ab und zu machte ich einen kleinen Schritt, weil es in der Schlange weiter ging) und vergaß für einige Momente die ganze Welt um mich herum. Ich atmete dankbar die kühle Luft ein und genoss den erfrischenden Hauch auf meiner Haut. Die Welt schien still zu stehen, und ich war komplett im „Jetzt und hier“ und mit jeder einzelnen Pore aufmerksam und bewusst. Der einzige Gedanke, der in meinem Kopf entstand, war: Das ist Leben!

Dieses Erlebnis brachte mich auf den Gedanken, derlei Momente nicht mehr nur dem Zufall zu überlassen. Seitdem setze ich mich abends, vor dem Schlafengehen, noch ein paar Minuten vor das offene Fenster und atme tief ein und aus und genieße die kühle Abendluft, den Sternenhimmel, die Stille… Anschließend schlafe ich ganz wunderbar ein!

Dies ist nur ein kleines Beispiel dafür, wie ein kurzer Moment der Achtsamkeit nicht nur hilft, den Augenblick zu meistern sondern auch Inspiration für eine positive Veränderung sein kann.

Seit dem Supermarkt-Erlebnis sind nun einige Tage vergangen und ich sitze jeden Abend vor dem Schlafengehen auf meinem Kissen vor dem offenen Fenster. Nicht jedes Mal tauche ich sofort in diese wohltuende Stille ein. Manchmal halten sich Gedanken oder Gefühle fest und es gelingt mir nicht, sie loszulassen. Oder es zwickt und juckt irgendwo, oder die Füße schlafen ein. Vielleicht dauert es manchmal länger, zur Stille zu finden. Manchmal sitze ich auch einfach da und hüpfe von einem „Ereignis“ zum nächsten. Aber auch das ist Leben. Es gehört dazu, dass ich auch mal unruhig bin. Ich bleibe sitzen und schaue mir alles an, was „passiert“, wie einen Film im Kino. Manchmal werde ich wie in meinem Supermarkt-Erlebnis belohnt und finde zur Stille. Manchmal bleibe ich „zappelig“ bis zum Schluss.

Jon Kabat-Zinn, der „Erfinder“ des Achtsamkeitsprogramms „MBSR“ (Mindfulness based Stress reduction) nennt dies „The full Catastrophe living“ – so auch der Originaltitel seines Buches über MBSR. Was er damit meint: Alles ist Leben. Auch das Unangenehme oder Störende. Wenn wir nur die „guten“ Momente zählen, könnte das Leben sehr kurz aussehen. Zum Leben gehört alles dazu. Die glücklichen, gesunden, schönen Momente genauso wie die Schmerzen, die Krankheiten, die Tränen… Die ganze Katastrophe.

Also: Dranbleiben und … immer schön weiteratmen!